Oststadt

Ein Haufen Geschichten haben sich im Laufe der Zeit angesammelt. Geschichten  verschiedenster Genres, verschiedenster Art. Zeit genug, die Geschichten Stück für Stück zu präsentieren:

Oststadt ist die zweite Geschichte, die in der Stadt Silbermond spielt und ist ein Horrorkirmi Noir. Erschienen ist die Geschichte ursprünglich im Mai 2008 in Disturbania.

Leseprobe:
Die regennasse Straße spiegelte das Licht der Straßenlater-nen. Seine Schritte klangen hohl, hallten wider in der Tiefe der Häuserschluchten. Die Nacht war kalt, der Himmel bedeckt, ein leichter Westwind zerrte an seinem Mantel und ließ ihn frösteln. Er schaute hinauf, die nicht enden wollen-de Betonfassade entlang, und musterte das imposante Bau-werk. Bestimmt fünfunddreißig Stockwerke hoch überragte der zweckmäßige Büroturm alle Häuser um sich herum um ein Vielfaches. Man musste weit schauen, bis ein ähnliches Gebäude auftauchte. Die Familien verspürten keinerlei Neigung, sich nahe auf den Pelz zu rücken. Er konnte dies nur zu gut verstehen. In den oberen Stockwerken brannte Licht. Die Rosenbergs waren immer noch wach, immer noch geschäftig. Nicht von ungefähr hatten sie die Stellung, den Erfolg erreicht, der sie sowohl berühmt als auch berüchtigt gemacht hatte. Bedingungsloser Einsatz, der vor nichts zurückschreckte und selbst vor der eigenen Person keinen Halt machte. 
Ein brennender Schmerz breitete sich in seiner Brust aus. War sie auch dort oben? Jetzt, in diesem Moment? 
Er wandte sich ab, ließ das Rosenberghaus hinter sich liegen und stapfte durch Pfützen voll brackigem Wasser die Stra-ßen hinunter. Oststadts Popanz zog ihn an und stieß ihn gleichzeitig ab, eine unheilige Allianz der Gegensätze, die in seinem Innersten nagte. Er verfluchte die Eingebung, die ihn hierhin geführt hatte. Hier, mitten in die hohen Beton-türme des Mendelssohnschen Platzes, zurück zu einer Ver-gangenheit, die er glaubte, hinter sich gelassen zu haben, die er verdrängt hatte in eine Schublade seines Gehirns, die im Dachboden seines Gedächtnisses lag. 
Zum wiederholten Male verfluchte er die Kälte, die seit seiner Ankunft die Stadt in ihrem eisigen Griff hielt. Und ebenso verfluchte er die aberwitzige Idee, jemals wieder nach Silbermond zurückgekehrt zu sein. In die Stadt, der er geschworen hatte, ihr immer den Rücken zuzukehren. Jetzt war er wieder hier. Seine Flucht lag drei Jahre zurück, aber es erschien ihm wie gestern.

Pulverdampf hing schwer in der Luft. Er war immer noch fast taub vom Knall des letzten Schusses. Er kauerte sich noch tiefer hinter den Tisch, den er umgeworfen hatte, um dahinter Schutz zu finden. Sein Atem ging schwer und schnell und er spürte Panik in sich aufsteigen. Er konzentrierte sich, atmete tief ein und aus, beruhigte sich langsam. Neben ihm lag Phönix, dahin gestreckt von drei Schüssen, höchst-wahrscheinlich tot. Auf der anderen Seite des Tisches lauerte das Rosenbergsche Todeskommando. Er schätzte sie waren zu dritt. Sie befanden sich in der besseren Position und warteten genüsslich, während er sich die Hosen vollmachte. Er konnte förmlich das spöttische Grinsen von Lucard vor sich sehen.
„Schwarzer Luchs“, rief dieser. „Das Spiel ist aus. Phönix ist aus dem Spiel und wir geben dir eine Chance. Schmeiß´ deine Kanone weg und verlass’ die Stadt. Komm´ nie wieder zurück. Oder bleib´ und stirb. Letzteres garantier’ ich dir.“
Die Stimme drang laut und schneidend durch den Raum, traf ihn Mitten im Mark. Mit dem Rücken an der Wand stehend schätzte er seine Chancen ab. Die drei Revolvermänner waren strategisch klug im Raum verteilt. Seine Waffe hatte noch exakt fünf Schuss. Ein kurzer Blick neben sich bestätigte, Phönix war wirklich tot, seine Chancen aussichtslos. Lucard konnte ihn jeden Moment töten. Marlene war der Grund für seine Lage und Marlene war es auch, die ihm eine letzte Überlebenschance sicherte. Lucard würde es sich gut überlegen, ob er den Geliebten von Marlene Rosenberg über den Haufen schoss. Das würde Ärger geben. 
Aber er, der berühmte Schwarze Luchs, musste weg aus der Stadt. Ja, es hatte etwas länger gedauert. Aber jetzt hatte er die Zeichen der Zeit erkannt. Er war den Rosenbergs ein Dorn im Auge. Er war einfach der falsche Geliebte. Wie konnte er nur so doof sein und sich ausgerechnet in die Tochter seines Chefs verlieben. Die Rosenbergs steckten hinter diesem feigen Hinterhalt, daran bestand kein Zweifel. Und sein Freund Phönix musste über die Klinge springen. Desse´n Tod war zweifellos seine Schuld. Es wurde Zeit, dass er Vernunft annahm. Es wurde Zeit, der Stadt den Rücken zu kehren.
Ach Marlene. Mein Herz blutet, aber ich habe keine andere Wahl. Wirst du mir jemals verzeihen?
Er richtete sich langsam auf, die schwere Pistole glitt ihm aus der linken Hand und knallte auf den Boden.
„Ich bin einverstanden, Lucard. Ich gehe. Aber glaube mir, wir sehen uns wieder. Und beim nächsten Mal wirst du für all dies büßen.“

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